Heiner Ruland: «Die Nacht der Künste», Neun Metamorphosen für Traversflöte und Vierteltoncembalo.
Die Inspirationsquelle für diese Komposition ist Rudolf Steiners Berliner Vortrag «Das Wesen der Künste» vom 28. Oktober 1909 (abgedruckt in GA 272). Darin werden die nächtlichen, traumartigen Erlebnisse einer Frauengestalt, der «Kunst» geschildert. Ihre Seelen-Erlebnisse an den verschiedenen Künsten hat Rudolf Steiner in Worte eines imaginativen Erkennens gekleidet.
Rulands Komposition entfaltet den Reigen der sieben Künste: Tanzkunst, Mimik, Plastik, Architektur, Malerei, Musik und Dichtung, dem Vortrag folgend eingerahmt durch ein Vorspiel «Abendrot» und ein Nachspiel «Morgenrot». Was die Kompositionstechnik betrifft, so durchzieht eine Zwölfton-Reihe als roter Faden die insgesamt neun Stücke. Diese Reihe erlaubt durch ein von Ruland entwickeltes Verfahren weitere sieben Metamorphosen, sodass jedem der sieben «Kunst-Stücke» jeweils eine der Metamorphosen zugeteilt werden kann, während die Urform dem Vor- und Nachspiel vorbehalten bleibt. Jede dieser Reihen-Metamorphosen erklingt in ihren 4 Formen: Grundform, Umkehrung, Krebs-Umkehrung und Krebs.
Weiter ist zu bemerken, dass jedes der Stücke durch eine vorherrschende charakteristische Intervall-Stimmung geprägt ist: Tanzkunst / Quart, Mimik / Terz, Plastik / Sekund, Architektur / Prim und Oktav, Malerei / Septim, Musik / Sext, Dichtung / Quint. In Rulands 24-tönig erweiterten Tonsystem erfahren diese Intervall-Stimmungen durch die Einbeziehung der höheren Primzahl-Intervalle (Naturseptim 4/7, Naturquart 8:11 und Natursext 8:13) eine ungeahnte Differenzierung und Intensivierung.
Dem Charakter einer «Nachtmusik» entsprechend dominieren die dunklen, siebenfach nuancierten B-Tonarten, die im Quintenzirkel den Nachtbereich repräsentieren und folgen diesem in rückläufiger Bewegung, zuerst abdunkelnd bis zum C-Moll / Es-Dur der «Architektur», die das Zentrum und die Mitternacht des Zyklus markiert. Von da ab hellen sich die Tonarten sukzessiv wieder auf bis zum A-Dur des abschliessenden «Morgenrots».
Ruland widmete dieses Werk 1991 «den Zürcher Freunden», die es oftmals in verschiedenen Zusammenhängen aufgeführt haben, auch im Zusammenklang mit den von Jürg Imholz dazu gemalten Bilderzyklen. Dabei konnte stets erlebt werden, wie sich der ganze poetische Zauber dieser Musik am reichsten im Zusammenhang mit einer Lesung des Steiner’schen Vortrages entfaltet. Dieser schliesst mit Schillers Wort:
Nur durch das Morgenrot des Schönen
dringst du in der Erkenntnis Land!